Weltwiederannahme
Mensch könnte meinen, wir hätten eine Schwäche für Neologismen und ja, da könnte etwas dran sein. Aber diese Wortneuschöpfungen sind (leider) nicht von uns, sondern von klugen Menschen erdacht und wir greifen sie gerne auf.
In dem Fall von Weltwiederannahme sind wir durch Eva von Redecker auf dieses Wort gestoßen und es bringen unser neustes Must Haves wunderbar auf den Punkt.
Im letzten Beitrag aus unserer Reihe Must Havel – Tools für Gesellschaften in Krisenzeiten ging es um Gegenwartsbewältigung. Diese Auseinandersetzung mit der unbearbeiteten Vergangenheit und dem Jetzt führt unweigerlich zur Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben und weist uns eine neue Perspektive auf. Die Weltwiederannahme ist letztlich eine Konsequenz daraus.
Unsere gegenwärtige und vergangene Perspektive auf die Welt ist stark ökonomisiert und geprägt vom Nutzen, oder wie der Philosoph Pierre Charbonier es nennt, wir blicken auf „die Welt von der wir leben“. Aus dieser Haltung heraus haben wir vieles abgespalten, verdrängt aus dem Blick geschoben, was nun wieder in unser Blickfeld drängt. Abfall, der in großen Mengen in den Meeren schwimmt und uns auf den Tellern, sofern wir Meerestiere essen, wieder begegnet. Die scheinbar unsichtbaren Emissionen die in Form von Temperaturanstieg, steigendem Meeresspiegel und Wetterextremen die Nische, in der optimale Bedingungen für menschliches Leben herrscht, ungemütlich werden lässt.
Aber wir leben auch IN dieser Welt, worauf uns die Klimakrise eindringlich hinweist.
Weltwiederannahme bedeutet nun, dass von der Welt abgespaltene wieder in den Blick zu nehmen und als zur Welt zugehörig zu definieren.
Es bedeutet all die vielen Teile, die die Welt ausmachen zu einem Ganzen zu integrieren und uns selbst neu in Bezug zur Welt zu setzten.
Um das oben genannte Beispiel wieder aufzugreifen, auch Abfallprodukte gehören zur Welt, sind Teil der Welt und sind ein von uns geschaffener Teil der Welt. Ein Beiseite, aus dem Blickfeld schieben ist nicht mehr möglich, es anzunehmen notwendig.
Ganz praktisch kann sich das in einer Korrektur von Wert niederschlagen. Und hier ist tatsächlich ein ökonomischer Wert gemeint. Unter anderem die externalisierten Kosten, die wir mit dem Abladen unseres Abfalls im Globalen Süden, oder den Meeren beiseitegeschoben haben. Diese Kosten müssen dem Preis eines Produktes wieder internalisiert werden um uns als Verbraucher*innen den Wert eines Produktes, bzw. die reellen Kosten eines Produktes vor Augen zu führen, sowie den Produktions- und Entsorgungsaufwand.
Mit diesem Beispiel sollte der Begriff Weltwiederannahme ein wenig greifbarer werden. Letztlich geht es darum uns wieder neu in Beziehung zur Welt zum setzten, von der wir uns spätestens seit der Industrialisierung zunehmend entfremdet haben. So wird, um ein weiteres Beispiel zu nennen, häufig der Wert eines Parkplatzes höher gesetzt, als der einer Grünfläche oder eines Baumes, der an derselben Stelle wachsen könnte, wo wir einfordern ein Auto abstellen zu können.
Da der Mensch ein Teil der Welt ist, können wir Weltwiederannahme aber auch auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und den Umgang miteinander bezieht. So geht es auch darum sich gegenseitig als Mensch zu akzeptieren, in seinem subjektiven Sein anzuerkennen, als Teil der Welt anzuerkennen.
Weltwiederannahme kann auch bedeuten eine andere Sich anzunehmen, die Perspektive zu verändern.
Seit der Aufklärung (die wir natürlich nicht missen möchten, da sie uns so tolle Errungenschaften wie Menschenwürde und die Autonomie des Menschen mit samt seiner Parktischen Vernunft gebracht und unser Verständnis von Freiheit maßgeblich geprägt hat) steht das menschliche Subjekt und sein Handeln im Fokus unseres Denkens und das Denken selbst ergibt sich aus der Tatsache des menschlichen Seins. Aber dieses Sein, als Konsequenz der praktischen Vernunft zu derer er fähig ist, hat uns von der physischen Welt, der Natur entfernt. Weltwiederannahme kann man also als wieder n Bezugsetzung des Seins als Teil der uns umgebenen Welt, unserer Umwelt verstehen. Dabei gerät nicht das Subjekt Mensch aus dem Fokus, es wird gewissermaßen Konzeptualisiert. Denn gerade die Vernunft, die Fähigkeit zu denken was ist und seine Negation, sind es was uns zur Weltwiederannahme befähigt und verpflichtet. Es ist insofern eine Forderung der Vernunft, seine, bzw die Welt in seiner Ganzheit wieder anzunehmen und aus dem Blick geschobenes wieder in den Blick zu nehmen. Die Vernunft befähigt uns unser handeln zu reflektieren, Konsequenzen zu bedenken und Alternativen in Erwägung zu ziehen.
Und die Vernunft befähigt uns eine Zukunft zu denken, ob Dystopie oder Utopie. Es wäre also nur vernünftig unsere Vernunft zu gebrauchen, in Bezug auf das MUST HAVE Weltwiederannahme und allen weiteren.
Somit führt eine Weltwiederannahme nicht nur dazu, dass wir uns zur Welt neu in Beziehung setzten, sondern auch wir Menschen untereinander einen neuen Bezug zueinander finden und dem Menschen als Menschen begegnen. Gerade in ungemütlichen Krisenzeiten, in denen von rechter Seite ein Gesellschaftliche Spaltung forciert wird, ist dies dringend notwendig.