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Photovoltaik – massenhafte dezentrale Ausbreitung

Solardach in Kerpen Buir

Photovoltaik hat sich in den letzten Jahren in Deutschland massenhaft dezentral verbreitet.

Die Solarpunk-Vision einer autarken, klimafreundlicheren Energieversorgung rückt damit etwas näher.

Dies ist auch eine Erfolgsgeschichte einer gesellschaftlichen Transformation, vorangebracht durch Do It Yourself und Ungehorsam (beides zentrale Merkmale von Punk), durch ernste globale Krisen, soziale Vorbilder und positive gesellschaftliche Ansteckungseffekte.

Auch in Köln boomt dank verschiedener Initiativen die Nachfrage für Sonnenstrom. Z.B.:

Solar für alle

Solarpartys

Solarcamp

Im Solarpunkblog findest Du einen aktuellen Artikel zum Thema Photovoltaik:

Reblog via Solarpunk

von Marc Amann, https://marcamann.net/

In Solarpunk-Geschichten versorgen Solaranlagen autarke Dorfgemeinschaften und Städte, sind auf Dächer montiert, in Rucksäcke und die Körper von Robotern und bienenähnlichen Bestäubungsdrohnen integriert. In den genretypischen Bildern sind Photovoltaik-Panels – neben Windrädern, Domes, Gebäudebegrünung, Zeppelinen – wiederkehrendes ästhetisches Element1.

Die Ölkrise 1973, Atomkraft-Unfälle und die Umweltbewegungen der 1970er und 1980er Jahre führen gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu vermehrter Kritik an fossilen Energien. Die beginnende Klimabewegung der 2000er Jahre verschärft diese Kritik und verstärkt die Suche nach Alternativen. Aus den ersten technischen Tüfteleien entwickelt sich bis Ende der 1980er Jahre eine intensive Forschung, die die Grundlage für eine Massenproduktion von Photovoltaik zu Beginn der 2000er Jahre legt.

Aber neben der Massenproduktion wird auch weiter getüftelt: Wie können kleine Photovoltaik-Module so mit Wechselrichter und Schukostecker ausgerüstet sein, dass sie ganz einfach Zuhause in die Steckdose gesteckt werden können und damit Strom liefern, der direkt im Haushalt verbraucht werden kann? Dadurch könnten neben den großen Stromkonzernen und Gebäudeeigentümer:innen auch einfache Mieter:innen selbst Solarstrom produzieren und konsumieren – und so zu unabhängigen Prosument:innen werden!

Auf der Solarmesse 2001 in Bremen wird ein solches erstes Balkonkraftwerk – wie es heute genannt wird – präsentiert.2 Da Photovoltaik-Module damals aber noch vergleichsweise teuer sind und die Strompreise günstig, ist die Kosteneinsparung gering – und die Module wecken wenig Interesse. Durch neue Produktionstechnologien entwickelt sich die Effizienz aber weiter, und zu Beginn der 2010er Jahre beginnt sich die Anschaffung und Nutzung auch finanziell zu lohnen.

Gleichzeitig entsteht jedoch eine Gegenbewegung von oben: Stromnetzbetreibende Unternehmen und Behörden melden Bedenken wegen Brandschutz und Sorgen vor Überlastung der Stromleitungen an. Das Anschließen wird zu einem juristischen Graubereich und Balkonkraftwerke, die trotzdem angeschlossen werden, bekommen einen neuen Namen: Guerilla-Photovoltaik!

Entgegen der Bedenken sind die Photovoltaik-Gueriller@s (man hätte sie auch Solarpunks nennen können) überzeugt, dass sich die Technik gefahrlos nutzen lässt, um vergleichsweise sauberen Strom zu erzeugen und unabhängig von Energiekonzernen zu werden. Hier und da tauchen nun an Balkonen, Fenstern, auf Terrassen und in Gärten PV-Module auf und in Medien wird über die Guerilla-Photovoltaik berichtet.3

Weil im Vergleich zu Deutschland die rechtlichen Bestimmungen in anderen Ländern schon weiter sind, beginnt die Europäische Union im Jahr 2013 mit Förderungen und dem Abbau von bürokratischen Hürden bei der Genehmigung von steckerfertigen Solaranlagen. Mit der Änderung einer Installationsnorm wird 2018 auch in Deutschland das Anschließen an Stromkreise erlaubt, die bis dahin nur für den Anschluss von Verbrauchsgeräten vorgesehen waren.

Die Anzahl der angeschlossenen Balkonkraftwerke steigt von etwa 2.000 im Jahr 2019 auf knapp 350.000 im Jahr 2023. Dazu trägt sicherlich auch die freie Zeit für Basteleien am eigenen Balkon während der Lockdowns in der Corona-Pandemie 2020/2021 bei und die Energiekrise mit steigenden Stromkosten und Energieunsicherheit in Folge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine 2022.

Maßgeblich für die massenhafte Verbreitung ist zudem ein sozialpsychologischer Effekt: Dort wo bereits Photovoltaikanlagen auf Häusern zu sehen sind, entscheiden sich Nachbar:innen mit höherer Wahrscheinlichkeit auch dafür, bei sich selbst Photovoltaik zu installieren! Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) weist diese Effekte von sozialer Ansteckung in einer Studie nach, die es 2021 in Fresno/USA durchführt.4 Demnach ist der Ansteckungs-Effekt des Vorhandenseins von Solarpanels in der nahen Umgebung wesentlich wichtiger als sozioökonomische und demografische Variablen wie das Einkommen, der Bildungshintergrund oder die Mund-zu-Mund-Propaganda im gleichen sozialen Netzwerk. In einkommensschwachen Vierteln ist der Effekt sogar am stärksten.

Solche positiven sozialen Kipppunkte könnten und sollten auch strategisch gezielt ausgelöst werden: Ein “Säen” von Solarpanels durch finanzielle Unterstützung und Beratung würde in Gegenden, in denen es bisher nur wenige gibt, nach und nach Stadtviertel und ganze Regionen anstecken können.5 Dazu können auch Initiativen beitragen, die sich die letzten Jahre gegründet und vernetzt haben und nicht-profitorientierte Beratung für den Selbstbau von Solaranlagen anbieten.6

Angetrieben durch soziale Ansteckungseffekte sowie ein Gesetz, das für Balkonkraftwerke weitere Hürden abbaut und die Grenze für die maximale Einspeisung von 600 Watt auf 800 Watt erhöht, steigt die Anzahl von Balkonkraftwerken in Deutschland im dritten Quartal 2024 auf rund 714.000 – das ist eine Verdopplung innerhalb eines Jahres!7 Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl noch weiter zunehmen wird, zumal sich auch Produktionstechnologien und Effizienz weiterentwickeln und Kostenvorteile ausweiten werden.

Im Sinne einer Solarpunk-Vision wird es neben der Solaranlagen-Produktion durch große Unternehmen aber auch wieder auf technische Tüfteleien und Innovationen ankommen, damit auch eine dezentrale, autonome Produktion von Solarmodulen mit sozial und ökologisch nachhaltigeren Materialien entwickelt und verbreitet wird – in nachbarschaftlich organisierten FabLabs und Selbstbau-Initiativen.

Dann wären wir tatsächlich auf dem Weg in eine solare Utopie, immer wieder vorangebracht durch Pionier:innen in gesellschaftlichen Nischen, beharrlichen Ungehorsam und die Ansteckung durch positive Beispiele. Viva Solarpunk!

https://solar-punk.org/2024/10/22/die-erfolgsgeschichte-von-guerilla-photovoltaik-als-solarpunk-erzahlung/

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