Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit und ICH
von Anne P4F
Hier folgt nun der zweite Teil meines Gedankengangs zum Beitrag „Kapitalismus vs Klimagerechtigkeit“. Im ersten Teil habe ich schon kurz den Zusammenhang von Freiheit in diesem Kontext kurz dargestellt. Jetzt versuche ich uns selbst, das einzelne Individuum, mich in dem komplexen System zu verorten.
Wo stehe ich als Mensch im kapitalistischen System? Ich bin Konsument*in, ich bin Produzent*in, Aktivist*in, Teil einer Familie und der Gesellschaft und ich bin vieles mehr. Den einzelnen Menschen einzig durch seine Faktoren im Kapitalismus zu subsumieren wird dem Individuum nicht gerecht.
Wir sind seit Generationen, insbesondere durch die Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg, durch ein ökonomisches Denken geprägt, was uns Wohlstand verspricht. Der Gedanke von Adam Smith, dass „die unsichtbare Hand des Marktes“ uns als Individuen Wohlstand und dadurch der Gesellschaft Gemeinwohl bringen würde ist für uns als westliche Gesellschaft in Teilen aufgegangen, hat jedoch gewaltige Nebenwirkungen wie die Klimakatastrophe, Ausbeutung von Mensch und Natur und auch eine auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich. Dass versuchen wir unter dem Begriff „Klimagerechtigkeit“ zusammenzufassen und zusammen zudenken.
Der Kapitalismus erzählt uns das Märchen „vom Tellerwäscher*in zur Millionär*in“, wir können alles werden, wenn wir nur wollen und uns anstrengen, blendet aber die unterschiedlichen „Startbedigungen“ und Steine die uns Einzelnen systembedingt im Weg liegen, aus. Wer es nicht schafft ist, selber schuld.
Genauso überträgt uns diese Erzählung die Verantwortung für die Klimakrise, z.B. in Form des CO2-Fußabdrucks, der auf den Fossilen Konzern Exon Mobil zurückzuführen ist. Mit diesem Instrument versuchte der Konzert seine Teilhabe an der Klimakrise zu verschleiern und macht uns einzelne verantwortlich. Wenn wir nur wollen, dann könnten wir, jede*r Einzelne Klimagerecht handeln. Wenn aber eine Nachfrage an klimafeindlichen Produkten besteht, dann werden diese eben produziert.
Natürlich kann, darf und sollte jede Person ihr Handeln reflektieren und möglichst klimagerecht agieren. Aber in Gänze ist dies schlicht nicht möglich. Keine Person kann zu jedem Produkt die Herstellung recherchieren, um dann eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. Selbst wenn wir versuchen Produkte, von denen wir wissen, dass sie klimaschädlich sind zu meiden, werden wir entweder handlungsunfähig, oder können nur zwischen dem kleinsten Übel auswählen, in Abhängigkeit unserer individuellen finanziellen Ressourcen und anderer Faktoren. Als Beispiel wähle ich hier gerne einen Einkauf im Supermarkt. Schon in der Obst- und Gemüseabteilung scheitert der Versuch ethisch korrekt/klimagerecht einzukaufen. Biomango vs heimischer, aber konventioneller Apfel. Biotomate aus Spanien, aber dort herrscht ja Wassermangel. Was soll Mensch da wählen. Und bei verarbeiteten Produkten wird es nur noch komplizierter. Mittels Handy im Supermarkt die Lieferkette und die Produktionsbedingungen zu rekonstruieren, zwischen Arbeit, Haushalt und Familie, unmöglich. Aber das neoliberale kapitalistische System überträgt uns eben diese Aufgabe, indem sie die Verantwortung auf uns Verbaucher*innen überträgt.
Wir haben die (willkür)Freiheit zu wählen und unsere Wahl, unsere Nachfrage verantwortet die Produktion. Diese Erzählung suggeriert eine individuelle Macht, die wir nicht haben. Dem Wunsch nach Veränderung mittels Kassenbon Ausdruck zu verleihen ist sehr begrenzt, auch weil wir nicht überblicken können, wie groß das Paket der Ausbeutung und Emissionen ist, was wir mit dem Produkt in unseren Einkaufskorb packen.
Und zugleich wird uns immer wieder erzählt, dass Maßnahmen der Klimagerechtigkeit, die ein Eingreifen in den Markt, mit sich bringen, zuallererst unser (willkür) Freiheit beschneiden und unseren Wohlstand gefährden.
Dabei wird Wohlstand hier ausschließlich nach ökonomischen Kriterien beurteilt. Aber wenn der Mensch sich nicht durch seine Faktoren im Kapitalismus subsumieren lässt, dann lässt sich Wohlstand auch nicht ausschließlich ökonomisch beurteilen.
Der Gedanke, dass die Verantwortung für Klimagerechtigkeit beim Einzelnen liegt täuscht auch darüber hinweg, dass es eine große Gruppe in der Gesellschaft gibt, die einen geringen CO2-Fußabdruck hat und auch nicht in der Lage ist ihn weiter zu verringern. Zudem bekommt diese Gruppe die Folgen der Klimakrise deutlich stärker zu spüren, ohne dass sie die finanziellen Ressourcen hat sich der Klimakrise anzupassen. Während dessen produzieren die reichsten Menschen die meisten Emissionen, die Auswirkungen tragen sie aber viel weniger. Die „Nebenkosten“ werden auf die Gesellschaft übertagen, externalisiert.
Diese Schere zwischen Arm und Reich, an finanziellen Mitteln und Emissionen, klafft nicht nur innerhalb eines Staates auseinander, sie tut es auch Global. Globaler Norden vs globaler Süden. Aber so langsam funktioniert diese Externalisierung nicht mehr. Unser, durch so genannten Wohlstand, produzierter Abfall, den wir in den globalen Süden verschifft haben, nach dem Prinzip „aus den Augen aus dem Sinn“, kehrt u.a. in Mägen von Meerestieren in unsere Küchen zurück, landet auf unseren Tellern, unsichtbar, dennoch da.
Die Interdependenzen, die wechselseitigen Abhängigkeiten von uns einzelne im kapitalistischen System sind kaum zu überblicken und dennoch täglich präsent, z.B. am Arbeitsplatz, oder eben im Supermarkt. Wir können nicht einfach unseren Job kündigen, weil das Unternehmen klimaschädlich produziert, obwohl wir das nicht gutheißen. Manche von uns können Veränderungen in Unternehmen anstoßen, weil sie eine Führungsposition inne haben, aber viele können es nicht. Die Ökonomie hat Macht über uns, der wir nicht entkommen können, die wir nur im Kollektiv verändern können. Hier liegt die Verantwortung auch beim Staat, Maßnahmen zu ergreifen, Regeln und Gesetze zu erlassen, die in den Unternehmen und in uns Individuen ein klimagerechtes Handeln provozieren.
Die Tiefengeschichte des neoliberalen Kapitalismus, die Wohlstand und Chancengleichheit für alle erzählt, ist so tief in uns verankert, dass wir kaum bemerken, wie sie unser tägliches Handeln, unseren Alltag, aber auch unsere Gedanken einer Zukunft und Transformation der Märkte beeinflusst. Diese Erzählung hat aber auch eine „hyperindividualisierung“ zu folge und die Forderung nach größtmöglicher Willkürfreiheit, unter Ausblendung der qualitativen Freiheit. Der Mensch ist aber nicht ausschließlich „homo ökomomicus“ er ist auch ein „vernünftiges (Herden)Tier, dem ein Gerechtigkeitssinn genuin ist. Oder wie der Historiker Ruder Bregman in seinem gleichnamigen Buch sagt, der Mensch ist „Im Grunde gut“. Ähnlich legt es der Wirtschaftsphilosoph Peter Koslowski in seinem koordinativ-integrativen Ansatz von Ökonomie und Ethik anhand des „Gefangenendilemmas“ dar.
Im neoliberalen kapitalistischen System, was einen neuen Naturzustand im Sinnen des Recht des Stärkeren verursacht, kämpft das ökonomisch geprägte Denken mit dem Gerechtigkeitssinn um Macht und Deutungshoheit und das im komplexen Nebel des Systems in das wir verwoben sind. Um diesen Nebel aufzulösen, braucht es Veränderungen im System und auch eine neue Erzählung die Ökonomie, Klimagerechtigkeit und qualifizierte Freiheit miteinander in Einklang bringt. Doch dazu mehr im nächsten Teil des Gedankengangs, in dem es um Kapitalismus vs Klimagerechtigkeit und die Gesellschaft geht.