Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit
von Uwe (p4f köln)
Für die Klimakrise und damit verbundene Ungerechtigkeiten wird der Kapitalismus verantwortlich gemacht. Der Begriff ist vielschichtig und auch ideologisch aufgeladen. Ein Versuch, es mir selbst klar zu machen und zu differenzieren.
Es scheint zunächst ganz einfach.
Ich nehme mal ein Beispiel. Zwei Menschen, Marius und Maria: Marius stellt Teppiche von Hand her. Für jeden Teppich benötigt er 3 Tage. Maria besitzt eine Maschine, mit der ein Teppich innerhalb eines halben Tages hergestellt werden kann. Maria bietet Marius an, mit der Maschine die Teppiche herzustellen. Es kommt zu einer Trennung von Arbeitskraft und Produktionskapital (hier in Form der Maschine). Diese Trennung bildet das grundlegende Prinzip kapitalistischer Produktionsweise. Vorher waren Produktionskapital und Arbeitskraft in der Hand eines Menschen, eben Marius, als jemand, der seine eigenen Werkzeuge besitzt.
Man sieht schnell zwei Dinge: Marius wird durch die Maschine viel produktiver, d.h. es gibt einen Produktivitätsgewinn von 5 zusätzlichen Teppichen und damit aber auch die Frage, wie dieser zwischen Marius und Maria verteilt werden soll. Hier kann sich die Frage nach Gerechtigkeit stellen. Ohne die Maschine gäbe es den Produktivitätsgewinn nicht, aber ohne die Arbeitskraft von Marius stünde die Maschine still.
Man kann es erweitern, indem Maria einen Kredit bei einer Bank aufgenommen hat, um die Maschine zu kaufen. Die Bank verlangt Zinsen für den Kredit. Der Produktivitätsgewinn muss nun zwischen Marius, Maria und der Bank aufgeteilt werden.
Durch Banken können auch Menschen an Kapital für Investitionen bekommen, die es selbst nicht haben. Mit Banken sind also mehr und größere Investitionen möglich, die wiederum zu höheren Produktivitätsgewinnen führen können. Anstelle von Banken können auch Aktionäre treten.
Die Höhe des Produktivitätsgewinns ist in erster Linie aber nicht auf die Trennung von Arbeitskraft und Produktionskapital zurückzuführen, sondern auf die technologische Entwicklung von Maschinen und auf die Verfügbarkeit einer großen Menge an Energie, die durch die Maschine in übermenschliche Produktivität umgewandelt wird.
Die Verteilungsfrage, also wer welchen Anteil von den Produktivitätsgewinn erhält, entsteht durch die Trennung von Arbeitskraft und Produktionskapital. In den westlichen Industrienationen erfolgt die Verteilung primär über Angebot und Nachfrage, also der freien Marktwirtschaft. (Die Frage der Verteilung von gemeinsam erzeugten Gewinnen entsteht natürlich auch bei der Arbeitsteilung, wenn einzelne Produktionsschritte aufgeteilt werden, z.B. Design, Herstellung, etc., d.h. ob und welche Fähigkeiten mehr wert als andere sind.)
In der freien Marktwirtschaft orientieren sich alle Wirtschaftsteilnehmer an einer Zahl, dem Preis für etwas, der Preis wiederum ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Dieser „Preismechanismus“ reduziert alle Informationen – also wer was haben will und kaufen kann, was sich zu produzieren lohnt, welche Kosten entstehen – auf eben den Preis. Das macht die freie Marktwirtschaft so schnell und anpassungsfähig auch bei einer sehr großen Anzahl an Wirtschaftsteilnehmern.
Wir haben auf der einen Seite soziale Techniken, wie die freie Marktwirtschaft, Finanzierung über Kredite und die Trennung von Arbeitskraft und Produktionsmitteln bzw. -kapital, auf der anderen, die materielle Seite, in Form von Energie und Technologie.
Alles zusammen, also technologische Entwicklung, große Mengen an Energie, hohe Investitionssummen durch Kredite, freie Marktwirtschaft, machen die Trennung von Arbeitskraft und Produktionskapital zu dem, was wir heute als Kapitalismus bezeichnen. Das Ganze hat eine enorme Wucht und Eigendynamik sowie ein Eigenleben bekommen (manch einer würde hier von einem System sprechen), was durch die Digitalisierung noch mal verstärkt werden dürfte. Man sieht aber auch, dass es kein eigenständiges und einheitliches Etwas ist, sondern ein Komplex verschiedener Ursachen und Kräfte sowie sozialer Techniken, die sich wechselseitig verstärken. Es gibt also nicht den Kapitalismus als eine einzige Ursache.
In Anlehnung an die Figur des Leviathans von Thomas Hobbes (siehe unten) könnte man das Bild eines Wachstumsungeheuer zeichnen, das immer größer wird und keine Grenzen kennt. Sehr effizient, aber blind für alles andere, also auch Gerechtigkeit und Ökologie.
Es bleibt die Frage, ob und wie es sich zähmen lässt. Ist eine kapitalistische Wirtschaft innerhalb planetarer Grenzen denkbar? Und wenn sie denkbar ist, ist es auch umsetzbar? Können diese ernormen Produktivitätsgewinne auch ohne Ressourcenübernutzung und klimaschädlicher Energie erreicht werden? Oder bräuchten wir eigentlich eine Steigerung von Produktivität nicht mehr und alles wäre dann eine Frage der (gerechten) Verteilung der Produktivitätsgewinne? Eine differenzierte Diskussion diesbezüglich wäre meiner Meinung nach möglich, wenn man die Ebenen trennt, aber ohne ihre Wechselwirkungen und Auswirkungen auf alles andere zu ignorieren.
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Der Leviathan nach Thomas Hobbes ist die Staatsgewalt, die dadurch entsteht, dass alle ihr Recht auf Gewaltausübung an einen Herrscher abtreten, der damit Gewalt über alle bekommt. Man sieht auf dem Bild, dass der Körper des Leviathans aus Menschen besteht. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a1/Leviathan_by_Thomas_Hobbes.jpg
Mit diesem Text wird der Kapitalismus nicht kenntlich gemacht. Wenn man den Kapitalismus auf wenige Grundelemente reduziert, so lassen sich diese wie folgt benennen:
Im Kapitalismus sind Produktionsmittel (Maschinen / Technologie) von den Produktivkräften (die Arbeitskraft der Menschen) getrennt. Beide kommen zusammen, indem die Menschen ihre Arbeitskraft gegen Geld an die Besitzer der Produktionsmittel verkaufen. Dieser Tausch Geld gegen Arbeitskraft ist kein gleicher, die Besitzer der Produktionsmittel bezahlen nicht die volle Arbeitsleistung sondern nur einen Teil. Hierbei handelt es sich um den Mehrwert, der benötigt wird, um bspw. neue Maschinen zu erwerben, neue Märkte zu erobern, also noch mehr Profit zu generieren. Diese Verhältnisse nennt Marx die Produktionsverhältnisse, die historisch wandelbar sind.
Die oben genannte Ungleichheit ergibt sich daraus, dass der Kapitalismus immer auch ein System ungleicher Machtverhältnisse ist. Wer sich im Besitz der Produktionsmittel befindet ist in der Lage, das Tauschverhältnis von Arbeitskraft gegen Geld zu definieren. Womit implizit auch angedeutet wird, dass die freie Marktwirtschaft keine freie ist. In den hochindustrialisierten Ländern wird der freie Markt bspw. durch Arbeitsschutzgesetze eingeschränkt, gibt es Tarifparteien, die über Lohnhöhen und Arbeitsbedingungen verhandeln und die freien Kräfte des Marktes beschränken.
Jede dieser Einschränkungen musste gegen die Besitzer der Produktionsmittel von der Arbeiterbewegung erkämpft werden, denn die unheilige Allianz von Liberalismus und Kapitalismus behauptete, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn zwei als rechtsgleich definierte Vertragsparteien einen Arbeitsvertrag abschließen, dieser gültig sei, gleichgültig welche Einzelregelungen darin getroffen wurden. Womit über die Behauptung der Rechtsgleichheit das Machtgefälle geleugnet wurde.
Auch die Behauptung der „freien“ Marktwirtschaft ist ein ideologisches Versatzstück, bei dem gerne übersehen wird, dass der sogenannte freie Markt nur existiert, wenn und solange Nationalstaaten seine Funktionsfähigkeit sichern. Das beginnt damit, dass der Staat mit seiner Gesetzgebung einen Markt erst konstituieren muss. Keine verbindlichen Vertragsverhältnisse ohne Gesetze, keine Sicherheit ohne das staatliche Monopol der Gewaltausübung. Erweiternd gilt, ohne über Lobbyismus u.ä. auch nur nachzudenken, dass neben dem oben genannten Machtgefälle parallel dazu ein entsprechendes Informationsgefälle besteht. Wer über mehr Macht und Einfluss verfügt, verfügt im Regelfall auch über mehr Informationen.
Und als drittes Element ist zu betrachten, dass die Erzeugung von Produkten, die auf Märkten gehandelt werden sollen, Input benötigt, einerseits menschliche Arbeitskraft andererseits aber auch Rohstoffe in jeglicher Form. Und Rohstoffe sind diejenigen, die uns der Planet zur Verfügung stellt. Entweder in Form von biologischen oder in Form von geologisch-chemischen Prozessen.
Man kann versuchen, die Gaben des Planeten in Geldwerte zu fassen, dann redet man von „Dienstleistungen“ der Erde, die man mit „Preisen“ versieht, um zu zeigen, was der Planet für uns tut.
Aber die Gaben des Planeten sind analog der menschlichen Arbeitskraft Grundlage für die Erzeugung des Mehrwerts, also von Profiten. Und so wie die menschliche Arbeitskraft im 19. Jahrhundert in Europa zu niedrigsten Preisen vernutzt wurde und es einer Arbeiterbewegung bedurfte, die mittels Streik den Produktionsmittelbesitzern ihre Arbeitskraft vorenthalten konnten, um den arbeitenden Menschen eine Lebensperspektive und ihre Würde zurückzugeben (im 21. Jahrhundert haben wir dieselben Ausbeutungsverhältnisse bspw. im Kobaltabbau im Kongo), so bräuchte es eines Planeten, der uns seine Rohstoffe vorenthalten könnte. Rohstoffe aber sind nicht mehr als die Grundlage für die Produktion von auf dem Markt handelbarer Produkte. Und der Preis dieser Produkte bestimmt sich über die Kosten von Arbeitskraft und Rohstoffen (inkl. Energie). Also müssen Rohstoffe dem Produktionsprozess billigst zur Verfügung gestellt werden. Und die Abfallstoffe, die von der Rohstoffgewinnung bis zum Lebensende eines Produktes auf allen Ebenen entstehen, müssen am besten kostenlos entsorgt werden. Nur dann läuft das System.
Und nun globalisieren wir den Blick, stellen uns das Ganze vor auf Basis einer entsprechend den ökonomischen Möglichkeiten hierarchisierten Weltgesellschaft und den sich daraus – auch historisch – entstanden Abhängigkeiten, erst dann entsteht ein Bild von den zerstörerischen Kräften des Kapitalismus.