Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit – es ist komplex
von Anne P4F
Vor kurzem erschien in diesem Blog ein Beitrag mit dem Titel „Kapitalismus vs Klimagerechtigkeit“. An einem Beispiel veranschaulichte Uwe die Trennung von Arbeitskraft und Produktionskapital, um den Begriff des Kapitalismus zu erklären und stellte die Frage der Gerechtigkeit in Anlehnung an Thomas Hobbes „Leviathan“.
Ich habe über diesen Beitrag noch länger nachgedacht und mich entschieden eine Antwort beziehungsweise meine weiterführenden Gedanken mit euch zu teilen.
Die Ökonomie, der neoliberale Kapitalismus, in dem wir hier heute leben, formt unsere Gesellschaft, unseren Alltag, uns selbst. Die Ökonomie ist Form unserer Lebensäußerungen, „ich kaufe/produziere also bin ich“, und wer ich bin, dass zeige ich durch meinen Konsum. Einmal durch den Instagram-feed scrollen sollte als Beleg hierfür genügen. Die Ökonomie prägt unser Denken, unser Handeln und die Politik, wo sie unter anderem Subventionen genauso wie Sparmaßnahmen legitimieren soll.
Die Ökonomie, der Kapitalismus ist aber nicht alles, was uns als Gesellschaft konstituiert. Wir sind mehr als unser Einkauf, als unsere Produktionsgüter und unser Kapital. Wir sind Menschen und als solche „vernünftige Tiere“, Herdentiere.
Ich denke es reicht nicht, ausschließlich auf das System der Warenherstellung, das Produktionskapital und den Tausch von Waren zu schauen. Es wird dem Kapitalismus und uns als Teil dessen nicht gerecht. Kapitalismus betrifft schon lange nicht mehr nur die Produktion von Waren, es zählen Dienstleitungen und der informelle Sektor hinzu. Vom Gesundheitswesen bis zur Kunst ist alles Teil des kapitalistischen Systems, das auch längst nicht mehr Halt davor macht, den Wert eines Menschen zu bemessen. Es ist viel komplexer. Und auch die Frage der Klimagerechtigkeit sollte innerhalb dieser komplexen Zusammenhänge gestellt werden.
So wichtig ein „nüchterner“ und grundsätzlicher Blick, wie Uwe in geworfen hat, von oben auf das System und die Probleme und Fragestellungen, die unsere Produktionsweisen mit sich bringen, ist, verkennt es doch die komplexen Verstrickungen in uns und unserer Kultur mit diesem System.
Der Kapitalismus verspricht uns Wohlstand und Freiheit (auch wenn inzwischen hinter ersteres ein Fragezeichen zu setzten ist). Maßnahmen zur Klimagerechtigkeit werden häufig in Zusammenhang gebracht mit Einschränkungen unserer Freiheit. Deswegen ist zuallererst eine kurze Begriffserklärung notwendig.
Ich habe es in verschiedenen Beiträgen hier im Blog schon mal angebracht, aber weil der Begriff der „Freiheit“ so wichtig ist, muss ich noch einmal kurz darauf eingehen, um die folgenden Ausführungen verständlich zu machen.
Dem Menschen ist, nach Kant, aufgrund seines Menschseins Freiheit eingeschrieben. Sie macht uns aus. Vereinfacht gesagt, zeigt sie sich darin, dass wir Fähig sind verschiedene Möglichkeiten zu denken. Und, wichtig ist, es gibt nicht nur DIE EINE Freiheit. Zum einen gibt es eine so genannte „negative Freiheit“, eine „Freiheit von“ einer größtmöglichen Menge an Zwängen, wir können es auch Willkürfreiheit nennen. Zum anderen gibt es die „qualifizierte Freiheit“, was bedeutet, dass wir aus freien Stücken unsere Willkürfreiheit einschränken, um eine „qualifizierte Freiheit“ im menschlichen Zusammenleben, zu erlangen.
Ein Beispiel, die Straßenverkehrsordnung. Rote Ampeln, insofern wie sie denn beachten, schränkt unsere Freiheit ein, weil wir stehen bleiben, aber dafür haben wir einen einigermaßen geregelten Verkehr, der Unfälle reduziert. Ich denke, die Abschaffung von Ampeln und der Straßenverkehrsordnung würde wohl niemensch fordern, um größere individuelle Willkürfreiheit zu erlangen.
Das Gebot der (qualifizierten) Freiheit für heutige und zukünftige Generationen kommt in den meisten Argumentationen für Maßnahmen zur Klimagerechtigkeit, meines Erachtens viel zu kurz, ob schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss im April 2021, mit dem Klimaschutz Verfassungsrang hat, sich auf die Freiheit bezieht.
Der Bezug zwischen Klimagerechtigkeit und Freiheit ist somit klar. Der Freiheitsbegriff des Kapitalismus ist ehr der, der „negativen Freiheit“. Die Ökonomie wünscht sich eine größtmögliche Abwesenheit von Zwängen, es soll möglichst wenig in den Markt eingegriffen werden, schließlich Besitz dieser eine eigenen Rationalität und die ökonomischen Ziele, wie Wertschöpfung, würden durch Markteingriffe in Gefahr geraten.
Vor diesem Hintergrund könnte man „Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit“ auch etwas zugespitzt umformulieren in „Willkürfreiheit vs. qualifizierte Freiheit“.
Und was soll dieser ganze Exkurs in Sachen Freiheit jetzt? Und wo stehen wir, wo stehe ich, wo die Politik und alles, was uns, neben der Ökonomie noch als Gesellschaft konstituiert?
Es ist kompliziert und komplex und ich beanspruche nicht Antworten zu haben, nur einen Gedankenweg, den ich eingeschlagen habe und an dem ich euch gerne teilhaben lasse. Vielleicht habe ich mich irgendwo Gedanklich verrannt, ich kann es nicht ausschließen. Wenn dem so ist, bin ich über Hinweise dankbar. Vielleicht habt ihr Lust den Weg mit zugehen, mit zudenken.
Aber vermutlich ist inzwischen die Tasse Kaffee, oder Tee leer, eventuell der Kopf schon voll. Deswegen, wie der Titel schon vermuten lässt, habe ich meine Gedanken ein wenig aufgeteilt, so dass dieser Beitrag hier endet. Aber es werden drei weitere folgen:
- Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit und ICH
- Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit und die Gesellschaft
- Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit, und nun?
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