Bonum commune, aber was macht Herr Wissing?
Was die Schlagzeilen dieser Tage mal wieder verkünden, ist an Fragwürdigkeit kaum zu übertreffen – Das autofreie Wochenende, um die Emissionen im Verkehrssektor zu minimieren.
Und als Klimaaktivist*in bekommt Mensch sogleich den Unmut der autofahrenden Bevölkerung zu spüren:
„Ihr wollt uns das Auto (am Wochenende) wegnehmen.“
„Wie stellt ihr euch das den vor?“
„Das habt ihr ja toll hinbekommen.“ usw.
Persönlich erlebte Unmutsbekundungen
Wir? Wir haben diese Schlagzeilen nicht gemacht, weder geschrieben noch ist diese Idee auf die Klimagerechtigkeitsbewegung zurückzuführen.
Wir, die Klimagerechtigkeitsbewegung fordern eine Senkung der Emissionen, auch im Verkehrssektor. Und wir, die Klimagerechtigkeitsbewegung haben verschiedene Vorschläge dazu gemacht. Und wir Klimaaktivist*innen wissen durchaus, dass es Menschen gibt, die nicht so einfach auf das Auto verzichten können, vor allem in ländlichen Regionen, in denen der ÖPNV schlecht ist und am Wochenende noch viel schlechter.
Was Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hier vorschlägt dient weniger dem Zweck die Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren als einer Panikmache innerhalb der Bevölkerung, mit der er bewusst die Zustimmung zu Maßnahmen der Emissionsreduzierung im Verkehrssektor mindern möchte, um sein eigenes nicht-Handeln zu legitimieren. Und nicht nur dass, er instrumentalisiert das Vorbringen dieser unpopulären Idee um eine Änderung des Klimaschutzgesetzt und der sektorenbezogene Emissionssenkung erwirken zu können.
Dieses Vorgehen ist in vielerlei Hinsicht fragwürdig und vor allem ist es manipulativ.
Das Klimaschutzgesetzt ist nicht aus Jux und Langeweile entstanden, oder um Politiker*innen in ihrer Kreativität zu fördern, indem sie sich Maßnahmen erdenken sollen, die keiner Person weh tun und dennoch wirksam sind, oder indem sie Maßnahmen erdenken könnten, um dieses Gesetz möglichst zu umgehen oder zu verwässern.
Das Klimaschutzgesetzt dient einem Zweck, nämlich der Senkung der Emissionen, der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und der Einhaltung der 1,5° Grenze.
Es dient dem Zweck der Erhaltung unserer planetaren Lebensgrundlagen. Das die Klimakrise stattfindet ist bekannt und wird auch von dem Großteil der Bevölkerung, sowie den demokratischen Parteien nicht angezweifelt und somit ist (politisches) Handeln ethisch geboten.
Aufgabe der Politik ist die Gestaltung konkreter Koordination, damit ein konkretes Gutes (bonum commune/ Gemeinwohl) innerhalb der bestehenden Ressourcen, in Raum und Zeit, Wirklichkeit wird.
Genauer gesagt ist es Aufgabe von Volker Wissing die Emissionen im Verkehr Sektor zu minimieren (konkretes Gutes) innerhalb der Handlungsmöglichkeiten des Verkehrsministeriums.
Und dieses Handeln sollte für die hier, innerhalb des politischen Wirkkreises lebenden und für jetzige Generationen erfahrbar sein. Eine Heilsversprechung im Jenseits ist nicht Sache der Politik.
Nun stellt sich zwangsläufig die Frage, warum Herr Wissing dann nicht schon längst entsprechend gehandelt hat und wirksame Maßnahmen, wie ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen (was eine Mehrheit der Bevölkerung unterstützt), sowie Investitionen in die Schiene (statt in Autobahnen), Unterstützung der Kommunen, damit diese den ÖPNV und die Radinfrastruktur ausbauen zu können, nicht realisiert hat.
Üblicherweise argumentiert Herr Wissing hier mit der Freiheit, ohne sie näher zu definieren. Das ist für seine Zwecke auch nicht notwendig, da wir das Gut der Freiheit hoch werten und deswegen empfindlich auf angedrohte Freiheitseinschränkungen reagieren. Wieder handelt es sich hier um eine Argumentation die weniger der These und umso mehr der Legitimation des eigenen nicht-Handelns, sowie der Manipulation der Bevölkerung dient.
Natürlich schränkt ein Tempolimit Menschen in ihrem Fahrverhalten ein, so sie sich denn an die vorgegebenen Regeln halten. Doch die Freiheit, die durch die Abwesenheit eines Tempolimits besteht, ist lediglich einen negative Freiheit, eine Freiheit-von (einer Temporegulierung).
Es ist keine qualitative Freiheit.
Außerdem zeigt der Zuspruch zu einem Tempolimit ja, dass es eine Mehrheit gibt, die aus der Freiheit heraus, also sich frei für ein Tempolimit entscheiden würde. Weil Freiheit, diese geringe Einschränkung der individuellen Freiheit, auch den Freiheitshorizont der Gesellschaft und zukünftiger Generationen im Blick hat und die individuelle Freiheit immer auch selbstbestimmt für ein Kollektiv eingeschränkt werden kann und eingeschränkt wird.
Es gibt keine absolute Ausübung von äußerer Freiheit. Wird diese Ausübung angestrebt, wird dies institutionell, wie gesellschaftlich sanktioniert.
Dennoch sollte die institutionelle Einschränkung unserer Freiheit möglichst gering gehalten werden, womit wir wieder beim Wochenendfahrverbot und dem Tempolimit wären.
Welche von beiden Maßnahmen unsere Freiheit weniger einschränkt liegt auf der Hand und ein sinnvoller Erklärungsversuch, warum ein Tempolimit bisher nicht umgesetzt wurde, rückt in immer weitere Ferne.
Eine Person, die ihre Aufgabe so unzureichend bzw. gar nicht umsetzt und dabei den eigentlichen Leitgesichtspunkt (bonum commune) von Politik völlig ignoriert, sollte von der ihm*ihr anvertrauten Aufgabe zurücktreten.
Die Klimakrise erfordert Politiker*innen die den Mut haben wirksame Maßnahmen zu ergreifen und auch den Zweck, die Notwendigkeit und die Auswirkungen der Maßnahmen auf den Lebensalltag der Menschen zu kommunizieren. Eine Politik die einzig der eigenen Legitimation und des Machterhalts dient droht gesellschaftliche Mehrheiten für klimapolitische Maßnahmen zu gefährden, das Handeln in die Länge zu ziehen und in die Zukunft zu verschieben, wodurch dann zukünftig weitaus drastischere Maßnahmen von Nöten sein werden.
Wenn Politiker*innen der Realisierung eines konkreten Gutes, der Klimagerechtigkeit, nicht nachkommen, dann ist Protest von Nöten.
Nicht nur aus der Klimagerechtigkeitsbewegung heraus, sondern aus der gesamten Breite der Bevölkerung. Denn Protest ist Teil demokratischen Handelns und demokratisches Handeln ist dringend geboten.
Mehr dazu
https://www.deutschlandfunk.de/wissing-fahrverbot-klimawandel-co2-100.html