Das weiße Blatt
Wie wir aus dem Beitrag zur Gegenwartsbewältigung schon mitgenommen haben, ist eine Auseinandersetzung mit dem Heute und Gestern unerlässlich für ein Morgen. In dieser Zeit der sich beschleunigenden Krisen bedeutet dies auch, sich mit dem Bruch von Kontinuität auseinanderzusetzen. Deswegen geht es in diesem MUST HAVE nun das weiße Blatt. Wieso ein weißes Blatt ein Toll für Gesellschaften in Krisenzeiten ist, dazu müssen wir ein wenig ausholen.
Zukunft ergibt sich u.a aus der Vergangenheit, und dies ist auch bei zukünftigen Zukünften der Fall. Neben dem Erwartbaren, was sich aus dem Bekannten und einer Kontinuität ergibt, und dem Prognostizierbaren, mit dem uns die Wissenschaften auf das Morgen hinweisen, bergen Zukünfte aber immer auch eine unbekannte Komponente. Diese Unbekannte sind wir selbst und unser Umgang mit der Vergangenheit, der Gegenwart und den Prognosen. Auf der einen Seite werden zwar Prognosen, zum Beispiel von Klimaforschenden immer genauer, häufig erschreckend genau, auf der anderen Seite wirken diese Prognosen so apokalyptisch, dass ihr eintreten kaum vorstellbar ist, bzw. wir uns ihnen, den Prognosen und Vorstellungen verweigern. Wir versuchen an Kontinuität festzuhalten, doch in Krisenzeiten wird dies je weiter die Krise voranschreitet zunehmend schwierig, es kommt zu einem Kontinuitätsbruch. Wir wissen nicht was uns in Zukunft erwartet, sei es, weil uns die Vorstellungskraft fehlt, oder die Unbekannten Parameter zu groß sind.
Der oben genannte Bruch der Kontinuität besteht nicht in der Abwesenheit von Zukunft und Prognosen/ Ausblicken, aber diese, unsere Zukunft hat für uns eine völlig andere und unbekannte Textur, die sich zwar aus der Vergangenheit ergibt, aber in ihrer Zusammensetzung kein Kontinuum mehr darstellt.
Ein einfaches Beispiel um diesen Zusammenhang von Bekanntem, neuer Zusammensetzung und neuer Textur zu verdeutlichen: Wir kennen vermutlich alle den Geschmack und die Textur von Äpfeln, genauso wie von, … sagen wir mal Pizza Margaritha, Rosenkohl und Kaffee. Das ist die uns bekannte Vergangenheit. Nun vollzieht sich der Bruch der Kontinuität dadurch, dass wir diese drei Nahrungsmittel zusammen in einen Mixer schmeißen und pürieren. Heraus kommt eine neue Zusammensetzung mit neuer Textur und neuem Geschmack, dem wir zunächst ablehnend gegenüberstehen, weil er uns unbekannt ist und wir vermuten, dass diese neue Zusammensetzung scheußlich schmecken wird. Und vermutlich wird dem in diesem genannten Beispiel auch so sein, ich habe es nicht ausprobiert und plane dies auch nicht. Aber zurück zur Zukunft und dem MUST HAVE um das es heute gegen soll, das weiße Blatt.
Die Zukunft ist immer ungewiss, das war sie stets. Und bisweilen verkennen wir unsere eigene Gestaltungsmacht. Was zunächst paradox erscheint: um auch in dieser krisenhaften Zeit unsere Zukunft gestalten zu können und Ideen entwickeln zu können, müssen wir die alte Gewissheit eines Kontinuums der Vergangenheit loslassen, uns auf einen neue Textur einlassen und bereit sein eine Zukunft nicht mit Problemlösungswerkzeugen der Vergangenheit zu gestalten. Vor allem nicht, weil dies häufig Werkzeuge sind, die in ihrer Nutzung zu unserer prekären Lage beigetragen hat.
Der Verlust der Zukunft ist die Chance eine Zukunft zu gestalten, indem wir uns befähigen, diese völlig neu zu denken. Oder um noch einmal auf das zugegebenermaßen etwas unappetitliche Beispiel zurückzukommen, wir können mit entscheiden was in den Mixer kommt, oder ob es nicht völlig andere Möglichkeiten der Zusammensetzung und Verarbeitung gibt.
Bei der Gestaltungsmöglichkeit aus dem Bruch der Kontinuität der Vergangenheit heraus, handelt es sich so zu sagen um eine kollektive, gesellschaftliche Konfrontation mit dem weißen Blatt Papier. Dies kann beängstigend sein und mensch kann voller Blockaden davorsitzen, in dem glaube, dass sie*er kein einziges gestalterisches Wort einfällt, aber in dem Moment, wo mensch sich den geistigen Raum nimmt und einfach den Stift aufs Papier setzt und eine Skizze beginnt, da löst sich die Blockade und es entsteht etwas neues, mitunter etwas, von dem auch die schreibende oder zeichnende Person nicht erwartet hätte, dass es bald das Blatt füllen würde.
Wir können die Geschichte der Zukunft schreiben und auch wählen, welche Rolle wir darin spielen. Notwendig ist dafür ein Loslassen und darauf einlassen, auf das weiße Blatt mit samt seinen ungeahnten Möglichkeiten, dann kann dieser Bruch der Kontinuität eine Chance bedeuten.
Wir stellten schon fest, und es taucht auch an anderer Stelle hier im Blog häufig auf. Geschichten haben eine Wirkmacht für den Menschen als homo narran und unser Tool, das metaphorische weiße Blatt ist der Raum für Geschichten, für Zukunftserzählungen. Sind Geschichten als möglicherweise auch ein MUST HAVE? Wir werden sehen, doch zunächst schauen wir uns mal unsere persönliche Haltung im Umgang mit Krisen an. Optimismus vs Pessimismus, oder gibt es noch eine weitere Möglichkeit? Die Fragestellung suggeriert schon die Antwort. Und welche Möglichkeit das sein könnte, dazu in der nächsten Woche, im nächsten MUST HAVE.