Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit und die Gesellschaft
von Anne P4F
Wenn ihr das hier lest, dann seid ihr anscheinend noch dabei, bei meinen Gedanken, die auf Uwes Beitrag zum „Kapitalismus vs Klimagerechtigkeit folgten. Das freut mich. Nachdem das Individuum an der Aufgabe der Verantwortung für klimagerechtes Handeln gescheitert ist, durch die Macht der Ökonomie und ihrer Erzählung von Wohlstand für alle, geht es im Folgenden nicht mehr nur um die einzelne Person, sondern um uns, als Kollektiv, als Gesellschaft.
Wir sind nicht nur Einzelwesen, wir sind also solche auch Teil einer Gesellschaft. Diese Gesellschaft konstituiert sich nicht, ebenso wie wir Einzelnen, ausschließlich durch unsere ökonomischen Lebensäußerungen, ebenso gehört Kunst und Kultur (im Sinne eines Bedeutungsgewebes, was wir durch unsere Begegnungen knüpfen) dazu. Grundlage ist jedoch die Anerkennung. Dass sich selbst als freiheitsbezügliches, vernunftsfähiges Wesen anzuerkennen und ebenso die anderen als solches Subjekt anzuerkennen. Hierin liegt unsere Freiheit und zugleich die Grenzen der Freiheit des Einzelnen, wo unser Handeln die Freiheit anderer Subjekte berührt.
Um dieses Zusammenleben von Individuen so gut es geht zu ermöglichen, haben wir Regeln aufgestellt, institutionalisiert durch den Staat und niedergeschrieben im Recht. Aufgabe der Politik ist es die Rechtsidee konkret zu realisieren, im hier und jetzt. Spezielle Aufgabe des Wirtschaftsrechts ist es, zwischen den Lebensäußerungen des Wirtschaftens und der gelebten Anerkennung von freiheitsbezüglichen Subjekten und ihre unterschiedlichen Lebensformen zu vermitteln. Das klinkt erstmal wahnsinnig kompliziert und abgefahren, ist es aber eigentlich nicht. Denn es betrifft auch das im vorangegangenen Beitrag gebrachte Beispiel des „Supermarkt-Dilemmas“. Der Versuch eine s ethischen, klimagerechten Einkaufs, der schlicht nicht möglich ist, durch die Unüberschaubarkeit der Produktionsbedingungen, Lieferketten etc. Dieses Dilemma würde sich auflösen, wenn wir Regeln erlassen, die Ausbeutung von Mensch und Natur untersagen, oder anders gesagt, die unsere Anerkennung des Menschen, seine Würde, schützen. Was so einfach klingt, ist jedoch in der Realität wesentlich komplizierter, schon aufgrund der globalen wirtschaftlichen Verflechtungen. Aber auch, weil hier wieder unsere schon erwähnte Tiefengeschichte ins Spiel kommt, genauso wie die Macht der Märkte.
Schon wenn man das Ringen um das Europäische Lieferkettengesetz verfolgt hat, sieht man wie groß die ökonomischen Kräfte, in Form von Unternehmen und Wirtschaftslobbies sind und wie viele Interessen, Positionen und Akteur*innen hier mitzudenken sind. Zudem sind wir nicht ausschließlich Konsument*innen in diesem kapitalistischen System, wir sind ebenso Arbeitnehmer*innen und Unternehmer*innen. Ein Wandeln hätte auch in dem Bereich der Lohnarbeit Auswirkungen auf unsere Leben. Für die einen kann es zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen, für manche Wirtschaftssektoren, aber auch den Abbau von Arbeitsplätzen oder eine weitreichende Veränderung der Arbeitsplätze zu Folge haben. Diese Seite und die damit einhergehenden persönlichen Ängste und Sorgen müssen mit beachtet werden.
Diese Komplexität ist jedoch kein Grund bestehende Regen nicht zu verändern, an neue Bedingungen anzupassen und dabei den Menschen als Subjekt wieder mehr in den Fokus zu rücken. Ja, die Ökonomie hat ihre eigene Rationalität, aber sie darf zum Schutz unserer Selbst, unserer qualifizierten Freiheit und unserer Lebensgrundlagen, der planetaren Grenzen nicht unreguliert agieren dürfen.
Wir, als Gesellschaft haben die Ökonomie geformt und nun prägt sie unser Leben. Wir sind, in unserem Alltag von der Wirtschaft abhängig, aber sie auch von uns. Dies zeigt sich zum Beispiel in kollektiven Arbeitsniederlegungen wie Streiks.
Durch Streiks können wir einen Bereich der Wirtschaft kurzfristig lähmen, aber das ganze System andere sich dadurch nicht. Änderungen werden erzielt durch konkrete (im Falle von Streiks gewerkschaftliche) Forderungen. Aber welche Forderungen wollen wir an ein ganzes weltumspannendes System stellen. Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und Einhaltung der 1.5°Grenze sind zu unkonkret, um ein komplexes System zu verbessern.
Wichtig in dem Zusammenhang ist, dass eine Verbesserung des bisherigen Systems mit Hinblick auf Klimagerechtigkeit keineswegs einen Systemsturz, oder Revolution bedeutet (vor allem, weil eine Revolution erst Rückwirkend von Historiker*innen als solche eingestuft wird und nicht von den im Kollektiv handelnden Akteur*innen, in dem Moment des Geschehens). Zunächst benötigt es eine gemeinsame Fundamentalreflexion des neoliberalen Kapitalismus, wie wir ihn kennen.
Wir haben die Spielregen des Marktes aufgestellt und im Laufe der Zeit haben sie sich, aufgrund von sich ändernden Bedingungen, verändert. Auch jetzt ändern sich die Bedingungen, mit Hinblick auf die planetaren Grenzen und einer drohenden Erderwärmung von über 1.5° und ihren Folgen. Somit ist es an der Zeit wieder die Spielregeln zu ändern und dies unter einem gewissen Zeitdruck. Wichtig ist es, dass wir uns als Gesellschaft darüber bewusst sind, dass wir nicht nur Teilnehmende sind, sondern eben auch Regelschreibende, dass wir zwar als Einzelne kaum Macht in Anbetracht der Dominanz des Kapitalismus haben, aber als Gesellschaft haben wir sie.
Wie eine konkrete Verbesserung der bestehenden Systemregeln oder des Systems als ganzem aussehen könnte, bleibt auszuhandeln. Verschiedenen gedankliche Ansätze git es und ihn sollte von allen Seiten, Politik, Ökonomie, wie Gesellschaft und uns einzelnen offen und kritisch begegnet werden. Eine Blaupause gibt es nicht, aber gemeinsam, mit einem gemeinsamen Ziel im Blick ist es möglich.
Und nun? Wie kommen wir mit diesem Gedankengang nun weiter? Ein paar vorerst letzte Gedanken dazu schließen diese Reihe mit dem nächsten Beitrag „Kapitalismus vs. Klimagerechtigkeit, und nun?“ ab.