Solardeckel und Hinweis zu gravierenden Fehlern im Kohleausstiegsgesetz
Unser Schreiben an Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Sehr geehrter Herr Brinkhaus,
herzlichen Dank für das Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion „Für einen Green Deal“ vom 12. Mai 2020, welches wir in unserer Kölner Ortsgruppe intensiv diskutiert haben.
Wir begrüßen es, dass Sie „die Bewahrung der Schöpfung und das Prinzip der Nachhaltigkeit“ als feste Bestandteile Ihres Politikverständnisses ansehen.
Ferner fordern Sie „einen kosteneffizienten Klimaschutz – mit Marktwirtschaft [zu] erreichen.“
Ihre Aussage, „marktwirtschaftliche Instrumente führen dazu, dass CO2 dort eingespart wird, wo dies am kosteneffizientesten möglich ist“ wird leider durch Ihr Regierungshandeln ad absurdum geführt:
Führende Ökonomen und die relevanten Wirtschaftszeitungen berichten seit einigen Jahren, dass die fossilen Energieträger den Wettlauf gegen die erneuerbaren Energien verloren haben.
- Wolfgang Pomrehn, berichtete bereits Anfang 2019 im Artikel “Braunkohle wird nicht mehr gebraucht“: „Ferner ist in Anbetracht der Energiewende und der hohen Anteile an erneuerbaren Energieträgern die Braunkohleverstromung spätestens ab 2021 als obsolet einzustufen. Dies wird u.a. durch Daten des Fraunhofer ISE untermauert“.
- Jeffrey Sachs, einer der renommiertesten Finanzökonomen der Welt, sagte während der Earth Day Konferenz 2020 vor mehr als 400.000 Teilnehmer*innen: „The coal industry is going bankrupt.“
- Brad Plumer schrieb vergangene Woche im New York Times Leitartikel: „In a First, Renewable Energy Is Poised to Eclipse Coal”.
- Ramez Naam, führender Kopf hinter dem Erfolg von Microsoft in den letzten 15 Jahren, führt ebenso im Mai 2020 aus, dass der Learning-by-Doing Effekt aus Wrights’ Gesetz auf erneuerbare Energien übertragbar sei. Die Kosten für Solarenergie sind weitaus schneller gefallen, als Experten 2010, 2015 und auch noch 2019 prognostiziert haben.
- Felix Chr. Matthes zeigt in seinen neuesten LignLx35 Diagrammen, dass unsere Braunkohlekraftwerke ihren Deckungsbeitrag nicht mehr erwirtschaften können.
Wir haben zu den angeführten marktwirtschaftlichen Realitäten folgende Fragen:
- Warum blockieren Sie mit dem Solardeckel und wissenschaftlich nicht belegbaren Abstandsregelungen für die Windkraft weiterhin konsequent den Ausbau der kosteneffizientesten erneuerbaren Energien? Ihre Blockaden greifen immens in die freie Marktwirtschaft ein!
- Wann und wie wollen Sie die weitere Abwanderung von Arbeitsplätzen in den Schlüsselindustrien der Zukunft (z.B. Solar- oder Windenergie) verhindern?
Diese Fragen stellen wir vor allem auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Entwurfs eines „Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (sog. Kohleausstiegsgesetz)“. Dazu möchten wir von unserer Seite folgendes anmerken:
In Artikel 42 Absatz 2 Ziffer 2 (Seite 31) wird „die endgültige Stilllegung von den in Anlage 2 genannten Braunkohleanlagen zu den in Anlage 2 genannten Stilllegungszeitpunkten“ in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag gefordert.
Mit diesem Passus versuchen Sie die Zukunft für die nächsten 18 Jahre festzuzurren. Da die Braunkohleverstromung bereits heute nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann (s.o.), fragen wir Sie:
- Warum soll die Bundesrepublik Deutschland in einer disruptiven Zeit in das Risiko eines öffentlich-rechtlichen Vertrages einsteigen und sich für weitere 18 Jahre festlegen?
- Fünf-Jahrespläne waren zu DDR-Zeiten bereits nach Trocknung der Tinte überholt. Warum lässt sich die CDU/CSU-Fraktion im Energiesektor auf Staatssozialismus ein und lässt nicht die freien Marktkräfte technologieoffen entscheiden (S.2 unten), welcher Energieträger zum Zuge kommt?
Artikel 42 Absatz 2 Ziffer 7 (Seite 32) propagiert eine „Feststellung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler inklusive des 3. Umsiedlungsabschnitts in den Grenzen der Leitentscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Zukunft des Rheinischen Braunkohlereviers / Garzweiler II vom 5. Juli 2016“.
Diese Regelung erscheint komplett unverständlich. Namhafte Stimmen der Fachwelt (z. B. DIW Berlin – Politikberatung kompakt 132 / 2019) gehen davon aus, dass die Aussage, welcher hier per „Feststellung“ Gesetzeskraft verliehen werden soll, bereits jetzt unzutreffend ist.
In der Tat ergibt der Vorgang, dass hier überhaupt eine „Feststellung“ getroffen werden soll, nur dann einen Sinn, wenn die betreffende Aussage gerade nicht wahr ist. Ansonsten würde und könnte diese natürlich bereits ohne weiteres für sich selbst stehen.
Auch als Prognose ist eine solche Aussage im Ansatz verfehlt: Prinzipiell funktioniert diese nur, wenn für den Regelungszeitraum, auf den sich das Gesetz bezieht (immerhin fast zwei ganze Jahrzehnte), jedes weitere Entwicklungspotential im Energiesektor ignoriert und negiert wird. Es ist unseriös, im Jahr 2020 eine „Feststellung“ für vermeintliche energiewirtschaftliche Notwendigkeiten bis zum Jahr 2038 treffen zu wollen.
Überhaupt keinen Sinn ergibt, dass sich der Staat, wie in Artikel 42 Absatz 2 Ziffer 7 vorgesehen, obendrein auch noch vertraglich gegenüber einem privaten Unternehmen an eine derartige – unzutreffende – Aussage binden soll. Damit wird nur bewirkt, dass sich der Staat – für den Geltungszeitraum des Vertrags – jeglicher weiteren politischen Einflussnahme und Gestaltung in diesem Bereich enthält.
Tatsächlich läuft diese Regelung dem Gesetzestitel und -zweck diametral zuwider: Es geht offensichtlich nicht um „Kohleausstieg“, sondern umgekehrt um künstliche Festschreibung eines schon heute so nicht mehr vorhandenen Bedarfs für weitere 18 Jahre.
Unter dem umgekehrtem Blickwinkel wird ein Schuh aus allem: Die „Feststellung“ bewirkt, dass der gesamte Kohlevorrat im Tagebaubereich Garzweiler II, welcher für die Verstromung bis zum Jahr 2045 vorgesehen war, dem Unternehmen RWE auch vollkommen ungeachtet des früheren Kohleausstiegs vollumfänglich zugedacht bleiben soll.
Die „Feststellung“ bewirkt obendrein, dass überdies auch jegliche mögliche Einwendung gegen die umfassende Ausbeutung der gesamten Braunkohle rechtlich im Ansatz ausgeschlossen bleiben soll.
Damit korrespondiert die vertragliche Vereinbarung eines sklavisch festgelegten „Ausstiegspfads“ über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten (mit geplanter Stilllegung der größten Kraftwerksblöcke erst ganz zum Schluss) sowie die erklärte gesetzgeberische Absicht (BT-Drs. 19/18472, S. 14), diesen „vereinbarten Ausstiegspfad nicht durch nachträgliche gesetzliche Änderungen … gefährden“ zu wollen.
Bei allem geht es offensichtlich nicht um „Kohleausstieg“, sondern umgekehrt um vollständige Absicherung des Betätigungsfelds eines einzelnen Unternehmens, verbunden mit gleichzeitigem komplettem Rückzug des Staates als Inhaber der politischen Gestaltungsmacht aus genau diesem Bereich, und zwar für die kommenden 18 Jahre.
Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie auf, keinem Gesetz zuzustimmen, mit welchem
- wie in Artikel 42 Absatz 2 Ziffer 7 des Entwurfs des Kohleausstiegsgesetzes vorgesehen, schlicht tatsachenwidrige Feststellungen getroffen werden und darüber Gesetzeskraft erlangen sollen;
- sich der Staat, wie in Artikel 42 des Entwurfs des Kohleausstiegsgesetzes vorgesehen, mittels des Abschlusses von über Jahrzehnte laufender öffentlich-rechtlicher Verträge aus der weiteren Gestaltungshoheit in Bereichen wie der Energiepolitik ganz oder teilweise zurückzieht.
Wir freuen uns über Ihre Antwort bis zum 22. Mai 12:00 Uhr. Wir werden sie bei unserer Klimamahnwache, voraussichtlich am 22. Mai um 18:00 Uhr auf dem Kölner Heumarkt ganz oder teilweise öffentlich verlesen.
Da wir leider nicht persönlich nach Berlin kommen können, legen wir einen symbolischen Solardeckel diesem Schreiben bei.
Die Pressestelle von Parents for Future Deutschland e.V. erhält dieses Schreiben als Kopie.
Mit freundlichen Grüßen,