Geschichten
Auf die Macht der Geschichten und des Narrativ haben wir schon an vielen Stellen in dieser Beitragsreihe und auch in anderen Blogbeiträgen hingewiesen. Denn der Mensch konstituiert sich nicht ausschließlich aus der praktischen Vernunft, er ist auch sinnliches Wesen. Und hier setzten Geschichte mit ihrer Wirkmacht an.
Sie sind jedoch auch mit Vorsicht zu genießen, oder besser mit Reflexion. Denn Geschichten können, weil sie so wirkmächtig sind, auch im schlechtesten Sinne genutzt und missbraucht werden. Der Grat zwischen Geschichte, Mythos und Ideologie ist bisweilen ein schmaler und immer abhängig von der Reflexion der Menschen. Wenn wir wissen, dass eine Geschichte in uns wirkt und wir ihre Kraft nutzen können, dann können Geschichten Menschen zusammenbringen, wenn wir ihr, also der Erzählung aber unreflektiert Glauben schenken, sie nicht nur als eine Darstellung von möglicher Wirklichkeit rezipieren, sondern sie für die Wirklichkeit selbst halten, dann können Geschichten auch missbraucht werden und manipulativ in uns wirken. Wir kennen alle Beispiele aus der Historie und manche derzeitigen Geschehnisse wirken so, als ob sich Historie wiederholen könnte.
Es ist mir an dieser Stelle wichtig zu sagen, dass mit Geschichten stets behutsam umgegangen werden muss und wir sie vor einer Instrumentalisierung und Missbrauch bewahren müssen.
Ehe wir beginnen eine neue Geschichte zu schreibe, müssen wir uns anschauen, welche (Tiefen)Geschichte uns als westliche Gesellschaft geprägt hat und zu unserer Identität gehört. Einer neuen Geschichte muss eine Gegenwartsbewältigung voraus gehen, um uns in die Möglichkeit eines neuen Umgangs mit dem weißen Blatt Papier zu setzten.
Eine neue Geschichte muss auch die Weltwiederannahme vollziehen, um uns neu in Beziehung zu unserer Umwelt zu setzten. Dabei darf diese neue Geschichte durchaus radikal anmuten und mit Mut niedergeschrieben und vollzogen werden, bei all der oben genannten Vorsicht.
Können wir die bestehende Geschichte/ Geschichten umschreiben? Oder braucht es etwas gänzlich Neues? Müssen wir uns von der Erzählung des uns so geprägten prometheische Menschenbild, was den Menschen als das naturbeherrschendes Subjekt in den Fokus gesetzt hat, losgelassen?
Ich denke schon. Denn wir sind nicht Frau*Herr bzw. Mensch über die Welt, wir sind Teil der Welt, die uns umgibt, der Umwelt. Schon dieses Wort „Umwelt“ kann einer Erzählung eine neue Perspektive verleihen und diese dem Wort. Der Biologe Jakob Johann von Uexküll meinte mit dem Wort Umwelt 1909 „auf ein Lebewesen einwirkende, seine Lebensbedingungen beeinflussende Umgebung“.
Doch inzwischen wissen wir, dass wir als Lebewesen massiv unsere Umwelt prägen und auf sie einwirken und die Klimakrise ist als Reaktion darauf zu verstehen, mit einiger zeitlicher Differenz. Insofern könnten wir mit dem Wort „Umwelt“ beginnen um eine neue Geschichte zu schreiben, in der wir die Umwelt Ganzheitlicher einbeziehen. Eine Geschichte in der „[…] drei Geschichten zusammenfallen: die Geschichte der Erde, die Geschichte des Lebens auf der Erde und ‚unsere‘ Geschichte.“ So beschrieben es Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro in „In welcher Welt leben?“.
Oder auch eine Erzählung von „NaturMensch“, eine Beschreibung des Spannungsverhältnisses zwischen Natur und Mensch kann die Grundlage für eine neue, zukunftsschöpfende Erzählung sein.
Für einen neue Geschichte und Zukunftserzählung kennen wir nicht DEN Ansatz, haben nicht DIE lösungsbringende Idee. Es ist eine kollektive Leistung, zu der wir alle Eingeladen sind, sie mitzuschreiben. Insofern ist auch dieses MUST HAVE eine Einladung.
Eine neue Geschichte, Erzählung bedarf auch einen Blick auf unsere Kommunikation und diesen Blick werden wir tätigen. Aber in der nächsten Woche wird es erstmal um etwas ganz Alltägliches gehen.