Sprache und Gewalt
Am vergangenen Wochenende war ich auf einem Konzert einer befreundeten Punkband. Und wie das so ist, mensch ist unter sich, inmitten eines Haufens diverser und schwitzender Leiber. Im Rücken der Band ein hängt ein Brecht-Zitat. Und wie das so ist, wird nach dem Konzert noch gequatscht über dies und das, über Politik, Klima und Weltenwahnsinn.
Irgendwann kramte ein Bandmitglied eine Kopie eines alten Zeitungsartikels aus den 90ern hervor. Titel: „Skin-Terror – Wie man sich vor ihnen schützen kann“. Verhaltenshinweise für Bahn, Disco, Straße, Kneipe und Imbissbude standen u.a. darin und wurden rezitiert. Es wurde gelacht, „was für ein Quatsch“. Und zugleich war uns allen klar, dass so unsinnig diese Tipps waren, so real doch die Gewalt auch heute ist. Wird doch zunehmend, von Angriffen auf Politiker*innen, u.a. beim Aufhängen von Wahlplakaten berichtet. Das Entsetzen darüber ist noch immer und weiterhin groß.
Nimmt die Gewalt zu? Oder hat sie sich verändert? Sind dies bloß Taten Einzelner? Und ist dieses „bloß“ nicht völlig fehl am Platz? Jede Gewalt, ob physisch oder psychisch, ob in der realen Begegnung, oder auf Social Media, ist falsch und jedes „bloß“ ist es auch. Und woher kommt sie? Die Gewalt? Ich könnte Soziologie und Psychologie zu Rate ziehen, um Antworten, Erklärungen zu finden. Verstehen tu ich es dennoch nicht. Wenn ich dem Menschen als Menschen begegne, Menschen anerkenne, in ihrem Sein, dann begegne ich dem Menschen nicht mit Gewalt und Hass, so wie ich nicht möchte, dass ich Gewalt und Hass durch andere erfahre. So einfach ist das. Und dennoch dem Menschen so schwer, wie es scheint.
Sprache bietet jenen, die Hass und auch Gewalt schüren eine Hilfestellung, um die Grenzen der Gewaltlosigkeit zu überschreiten. Sprache schafft Bewusstsein und unser Bewusstsein, unser Denken ist bedingt durch Sprache. Kurz: Wir denken in Worten. Versucht gerne mal frei von Worten zu denken, es wird euch nicht gelingen.
Wenn nun diese, unsere Sprache immer giftiger, rauer, roher und brutaler wird, wenn Sprache durchzogen ist von Phrasen, die Abgrenzung und Ausgrenzung propagieren, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Sprache im Denken festsetzt und in Taten umgesetzt wird. Das wissen wir und das wissen auch die Undemokraten und ihre Anhängerschaft und sie nutzen dieses Wissen. Schritt für Schritt sprechen sie Worte aus, die den Diskurs nach rechts driften lassen. Und es ist ein Dilemma, einerseits unsagbares nicht unkommentiert stehen zu lassen, zu korrigiere und dagegen zu argumentieren, ohne das Unsagbare zu wiederholen. Denn mit jeder Wiederholung wird es sagbarer. Es wurde ja schließlich schon ausgesprochen oder geschrieben. Es setzt sich fest.
Die Angriffe auf Politiker*innen, der digitale Hass und die Hetzte, die auch Aktivisti und zivilgesellschaftliche Akteur*innen erfahren, ist eine direkte Konsequenz aus dieser Diskusverschiebung und der Sprache, den Worten von undemokratischen Parteien und deren Anhängerschaft.
An dieser Diskursverschiebung wird von vielen Seiten mitgewirkt, zum Teil wissentlich und absichtlich, zum Teil in dem Versuch sich gegen diese populistische Rhetorik zu stellen, oder durch die Art und Weise der medialen Berichterstattung, wann immer aufgesprungen wird auf populistische, scheinbar leichte Antworten und Ausgrenzung das prägende Narrativ ist.
Die Angriffe auf Politiker*innen und Wahlkampfhelfer*innen, der zunehmend rauer werdende Ton und der digitale Hass, ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Die Gewalt, verbal wie physisch schüchtert ein. Sie schüchtert Menschen ein sich politisch zu engagieren, Ehrenämter zu übernehmen und sich für die Demokratie einzusetzen. Wenn Engagement Mut bedarf, dann ist es umso wichtiger, dass sich viele Menschen einsetzten und gemeinsam mutig sind, damit Mut nicht weiter Bedingung ist, sondern Engagement zur Gewohnheit wird.
Der beste Schutz unserer Demokratie ist unser Engagement für Demokratie und Vielfalt. Ob politisch, zivilgesellschaftlich oder im privaten Raum, durch unsere Worte, mit denen wir Vielfalt, Anerkennung und Gemeinschaft abbilden und füreinander einstehen.
Nutzen wir unsere Stimme ausreichend für wohlwollende und gerechte Worte, so dass wir der sprachlichen Brutalität etwas entgegenzusetzen haben, ohne bloß auf unsagbares zu reagieren? Agieren, erzählen in welcher Gesellschaft wir leben möchten. Erzählen von Diversität und der Schönheit menschlicher Begegnungen. Sprechen, von einer möglichen Zukunft, die wir uns erhoffen und für die wir uns einsetzten. Und auch sprechen über die bevorstehende Europawahl am 9.Juni.
Warum gehen wir wählen? Warum ist uns Demokratie wichtig? Und wie wichtig ist Demokratie zum Schutz unserer planetaren Grenzen, zur Einhaltung der 1,5° Grenze und dem Pariser Klimaabkommen? Lasst uns den Diskurs Verschieben, radikal Richtung Menschlichkeit und Klimagerechtigkeit.